More deaf and blind

18. 11. 2013 | Nerdiges | 0 Kommentare

Ich kauere mich flach auf den Boden gepresst so nah wie möglich an die kümmerlichen Mauerreste und warte auf den Knall. Er muss kommen, da bin ich mir sicher. Die Erde bebt und zittert, genauso wie es meine Finger tun. Wo ist der Kerl nur hin? Der muss mich doch gesehen haben? Das Rumpeln wird lauter und ich muss mich zwingen, nicht vor Aufregung in die Hosen zu kacken. Stattdessen versuche ich, mich noch näher in den Trümmerschatten der kleinen Mauer zu pressen. Da endlich, er biegt ums Eck. Der gewaltige Stahlkoloss schiebt sich langsam um meine Deckung herum, er weiß, dass ich hier irgendwo versteckt liege. Doch wie durch ein Wunder scheint er mich noch nicht entdeckt zu haben, ich liege im toten Winkel des Panzers. Mir der Ironie der Situation bewusst schalten meine Reflexe auf Automatik-Modus. Ich ziehe den Sprengstoff aus der Tasche und klebe dem Ungetüm zwei Ladungen direkt ans Heck ehe der wieder zurücksetzt und die Suche nach mir fortsetzt. Ich warte ein paar bange Sekunden und bete, dass der Panzer mittlerweile weit genug entfernt ist ehe ich, immer noch in Deckung liegend, den Auslöser drücke. Es scheppert und rummst, Teile meiner Deckung fliegen mir um die Ohren, meine Sicht wird durch Staub getrübt, aber ich habe überlebt! Und über meine Anzeige ergießt sich ein Punkteregen! Um den Clou perfekt zu machen, landet just in diesem Moment der Helikopter meines Teamkollegen Schneebard ein paar Meter neben mir. Ein kurzer Sprint und ich bin in Sicherheit.

Es ist schon gut Zeit vergangen seit meinem letzten Battlefield-Eintrag hier im Blog. Nun könnte man ja meinen, dass der Hype schon wieder verpufft ist, aber tatsächlich spiele ich immer noch. Mittlerweile sogar den Nachfolger. Ein paar der ehemaligen Kameraden sind zwar gefallen, dafür aber viele neue dazugekommen. Durchschnittlich zweimal pro Woche zieht abends das Deaf and Blind-Platoon in den virtuellen Krieg und wahrscheinlich ist das Phänomen für Außenstehende nach wie vor kaum zu greifen. Was finden erwachsene Männer, bei denen allein bei den DaBs zwei Drittel Familienväter sind, am abendlichen Geballere?

Sie lesen nun: Den Versuch einer Aufarbeitung.

Nicht unerheblich ist sicher der sportliche Aspekt. Analog zum feierabendlichem Fußball- oder Tennisspiel oder dem Besuch in der Muckibude trainiert das Zocken nachweislich den Geist, sowie Hand-/Augenkoordination. Das ist messbar, der eigene Fortschritt ungeheuer befriedigend. Der Wandel von der weinerlichen Schießbudenfigur zum taffen Jäger ist mühsam, bei sich einstellendem Erfolg aber umso befriedigender. Muss was männliches sein. Vor allem wenn man(n) Anfang Dreißig (und darüber hinaus) den kleinen Lol-Kiddies und Sesselpupsern zeigen kann, wo der Hammer hängt. Dazu kommt ein weiterer Aspekt des Sport: das Teamspiel. Man kann im Fußball stets alleine lospreschen und sein Glück versuchen, erfolgreicher spielt sich’s jedoch im Team. Und mehr Spaß macht das auch. Wer einmal einen Battlefield-Spieler vor seinem PC hat rumhamplen und grölen sehen, sich freuen, fluchen und jubeln gehört hat, weil eine akribisch gemeinsam geplante und ausgeführte Aktion vorbildlich aufgegangen ist (siehe Einleitung), wird wissen was ich meine.
Wie beim Fußball eben.

Aber was ist mit der ganzen Gewalt, muss es denn immer Krieg sein?
Ich kann mir die Faszination auch nicht erklären. Der Krieg am PC ist steril. Er kommt ohne den Schmerz und das Leid realer Konflikte aus, zeigt weder abgerissene Gliedmaßen und quellende Gedärme, noch verliert man darin geliebte Menschen. Wer stirbt, steigt ein paar Sekunden später wieder fluchend und mit voller Lebensleiste ins Spiel ein. Der Krieg ist die Ausgangslage, auf Basis derer zwei Mannschaften gegeneinander antreten und sich messen können. Ähnlich funktionieren übrigens alle anderen Sportarten auch. Nur dass man im Fußball natürlich nicht mit dem Maschinengewehr übers Feld läuft. Die Virtualität erlaubt uns jedoch genau das. Und sogar noch mehr: weil es virtuell ist, müssen wir nicht einem Ball hinterherlaufen um uns zu duellieren, sondern können uns gemütlich und von Zu Hause aus ganz unserem latenten Militarismus frönen.

Auch spannend: im Spielfluss neigt man dazu, das Szenario zu methodisieren. Ich beispielsweise kenne meist nicht einmal die Namen der jeweiligen Waffe die ich gerade benutze. Dafür jedoch, wie sie sie sich im Rahmen des Spiels verhält. Reichweite, Magazin-Kapazität, Eigenschaft bei Feuer aus der Hüfte, Nachladezeit. Dieses Wissen ist wichtig, um im Wettkampf mithalten zu können. Erfordert die Karte, die gerade gespielt wird, eine nahkampfstarke Waffe oder eine für Entfernungen? Packe ich eine Gegenmaßnahme gegen Panzer oder eine gegen Flugzeuge ein? Womit ist mein Team unterwegs, mit welcher Ausrüstung kann ich es am besten unterstützen? Scharfschütze oder Sanitäter, Versorger oder Pionier? Da ich bei der Bundeswehr war, weiß ich wie sich ein echtes MG verhält. Wie unhandlich so ein Trum ist, wie es verzieht, wie unrealistisch es ist, damit im Laufen zu feuern und auch noch zu treffen. Ich weiß, was die Kugel eines G36 mit dem Kopf eines Gegners macht, der sich 900m vom Schützen entfernt befindet. Spiele wie Battlefield ignorieren die Realität und übernehmen nur, was sich in Spielspaß gießen lässt.

Vier Typen hocken hinter der Ruine eines Hauses, sie stapeln sich da regelrecht und verstecken sich vor dem fiesen Panzer, der auf der anderen Seite patrouilliert und noch nichts von ihrer Anwesenheit ahnt. Sie debattieren über ihre Headset, wer jetzt rauskriecht und dem Stahlkoloss ein C4-Päckchen ans Heck pappt. Endlich ist ein Freiwilliger gefunden, doch just in dem Moment als er loshoppeln will, schießt jemand panisch auf einen imaginären Feind, den er, ganz sicher, er schwörts, vielleicht eventuell da hinten ganz kurz gesehen hat, der Panzerfahrer bemerkt das, schwenkt sein Rohr, Poff, Multikill für den Gegner und wüstes Geschimpfe über den Chatkanal. Aber nur kurz. Alle spawnen gleich im Anschluss ein paar Meter vom Panzer entfernt, diesmal mit der richtigen Ausrüstung im Gepäck und ein koordinierter Angriff führt zur süßen Rache.

Ich habe kürzlich gelesen, dass eine einzige Javelin-Rakete 80.000$ kostet. Wo man sich in der Realität sicherlich dreimal überlegt, so ein Ding abzufeuern, verschießt der durchschnittliche Battlefield-Spieler ein Dutzend pro Runde.
Kost ja nix und gibt gratis Nachschub beim Versorgungssoldaten.
Das Szenario „Krieg“ dient also vorrangig dazu, eine Wettkampfsituation zu erschaffen. Und weil diese virtuell ist, darf sie klotzen statt kleckern. Ordentliche Technik im PC vorausgesetzt sieht das Spiel nämlich auch noch, mit Verlaub, richtig geil aus.

Neben dem sportlichen Wettkampfeffekt steht das mindestens so wichtige Gemeinschaftsgefühl. Natürlich könnte man sich auf ein Bier verabreden. Aber mal ehrlich: wer von Euch hat schon einmal versucht, fünf Familienväter, von denen manche sogar fast jenseits des Weißwurstäquators wohnen, spontan am Abend auf einen geselligen Abend in die Kneipe der Wahl zu versammeln? Es ist leichter, seine Freundin davon zu überzeugen, dass sie sich auf dem nächsten Faschingsball als Miley Cirus auf einer Abrissbirne verkleidet, versprochen. Der gemeinsame abendliche Zock gestaltet sich da ungleich unkomplizierter. Nachsehen, wer „on“ ist, Headset anschalten, Bierflasche öffnen, kurz Tagesneuigkeiten austauschen und dann gemeinsam spielen. Sich beschimpfen, sich anfeuern, sich verhöhnen, sich loben. Mehr Interaktion mit meinen Freunden hatte ich nie zuvor im Leben. Natürlich treffen wir uns zusätzlich auch „in echt“. Aber seit wir gemeinsam spielen, verbringen wir viel mehr Zeit miteinander. Und haben unsere Freundschaften dadurch vertieft.

Immer wieder lustig ist auch, wie sich die jeweiligen Charaktere im Spiel verwirklichen. So steht beispielsweise meine kreative Schmetterlings-Mentalität der Statistik-Lastigkeit des Spiels gegenüber. Mir ist vollkommen wurst, was ich alles freischalten kann und freigeschaltet habe, wie viele Punkte pro Minute ich habe oder wie weit mein längster Kopftreffer ging. Ich messe meinen Erfolg nur im Verhältnis meiner Abschüsse zu meinen Bildschirmtoden. Und das teile ich auch im Battlelog, einer Art Battlefield-Facebook. Eine virtuelle Trophäenwand. Ein WickenChing72  tickt da wohl ganz anders. Obwohl er allen Grund hätte, sich mit seinen Erfolgen zu schmücken, ist er der bescheidenste von uns, teilt nie auch nur einen Gefechtsbericht oder eine Beförderung, er schwelgt im Stillen darin. Er und Schneebard gehören übrigens auch zu jenen Spielern, die alles, aber auch wirklich alles, was ihnen das Spiel anbietet, freischalten wollen und schrecken dafür nicht einmal vor repetitiven Tretmühlen zurück, die ihnen die Statistiken versauen. Sie spielen stundenlang auf Servern, auf denen nur der Gebrauch von Handfeuerwaffen erlaubt ist, um auch ja noch die allerletzte Knifte freizudödeln, die sie im eigentlichen Spiel sowieso niemals benutzen werden. Ein DaleiL liebt das Wühlen in den Statistiken sogar so sehr, dass er sich in meiner besser auskennt als ich mich selbst. Mit das lustigste am Spiel ist es natürlich schon, sich mit den anderen zu messen. Wie schlägt sich das „andere“ Feilnbach-Platoon rund um den Alpen-Zombie, die Mosis und DerCheese? Der Leser ahnts, die haben keine Chance gegen die wack’ren Helden von DaB. ;- )

Und unsere Frauen? Mein Herzblatt fragte mich letztens, als der lärmende Werbespot für Battlefield 4 im TV lief, ob das das Spiel sei, dass ich da immer spiele. Weil das so bunt und schön sei, aber immer wenn sie mir über die Schulter schaut, sehe das aus wie Afghanistan. Meine im unmittelbaren Anschluss gestartete „Pro-Schönheit-von-Battlefield“-Kamapgne mit beweisenden Youtube-Videos tat sie mit einem Schulterzucken ab, das war schon wieder genug Interesse für mein sonderbares Hobby. Immerhin sieht sie, wie viel Spaß ich offenkundig mit dem Spiel habe, sie legt sogar gesteigerten Wert darauf, dass ich nie alleine spiele, sondern nur wenn meine „Jungs“ da sind und solange ich den Spielkonsum in einem beziehungsverträglichen Maß fröne, ist es für sie okay.
Wahrscheinlich ist das auch der Schlüssel. Es ist ein Hobby wie jedes andere auch. Eines, bei dem es sich nach einem stressigem Arbeits- oder an einem langweiligem Sonntag wunderbar abschalten lässt. Bei dem man Freunde trifft (wie doppeldeutig…) und mit ihnen in eine andere Welt eintaucht. In ein zugebenermaßen fragwürdiges Szenario, aber einem, dessen Faszination man sich auch nur schwer entziehen kann.

Aber manch einer würde so wohl auch den Fußball charakterisieren.

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