Schwierige Beziehungen heilen

29. 12. 2017 | Die Welt, einfach erklärt, Philosophie | 2 Kommentare

Beziehungen. Ein scheinbar ewiger Kriegsschauplatz. 2017 hat es bei vielen wieder heftigst rumort. Allein ich habe in meinem näheren Umfeld derzeit drei Fälle, in denen sich Geschwister scheinbar unheilbar miteinander verkracht haben. Und sogar noch mehr gescheiterte Partnerschaften. In denen die Fronten so verhärtet sind, dass kein vernünftiges Gespräch mehr möglich scheint.

Wenn ich mich mit den Betroffenen unterhalte ist immer ganz schnell klar wo die Schuld zu suchen ist: beim Anderen. Der Andere lässt nicht vernünftig mit sich reden, zeigt keine Einsicht und Kompromissbereitschaft. Doch selbst wenn sich die Argumente für mich zunächst noch so stichhaltig und eindeutig anhören, am Ende lauert im Verborgenen immer der selbe, wiederkehrende Mechanismus: wir Menschen sind darauf konditioniert, vorschnell Urteile zu fällen, andere aufgrund von Hautfarbe, Kleidung, Körpersprache, ihren Handlungen und Motiven zu bewerten. Wir sind regelrechte Experten im Urteilen. Vieles davon geschieht unterbewusst und unser innerer Richter ist die Essenz unserer bisherigen Erfahrungen und Erlebnisse. Einiges davon passiert allerdings auch ganz bewusst. Indem wir unsere eigenen Maßstäbe ansetzen und sie auf andere projizieren. Verhält unser Gegenüber sich so, wie wir das erwarten oder für gut befinden, ist alles in bester Ordnung. Weicht er von unserer Norm ab, verurteilen wir ihn. Und das ist der Schlüssel zu all unserem Leid.

Es gibt einen guten Spruch, der unser Dilemma anschaulich auf den Punkt bringt:

Wir wissen nicht, was andere Menschen denken oder fühlen.
Wir interpretieren ihr Verhalten un d sind dann wegen unserer eigenen Gedanken und Gefühle beleidigt.

Es könnte sein, dass sich spätestens jetzt Wut in Dir regt. Weil Du doch sicher weißt und jeder Dir das bestätigen wird: so wie Dein Bruder oder Deine Schwester oder Dein Expartner Dich behandeln oder sich verhalten geht einfach gar nicht. Er oder sie führt sich wie das größte Arschloch auf und zur Hölle nochmal, so lässt Du nicht mit Dir umspringen, so eine Behandlung hast Du nicht verdient. Vielleicht bist Du auch ein wenig stolz, weil Du Dir eben nicht mehr alles gefallen lässt und endlich mal auf den Tisch haust.
Nun, ich glaube ich kann Dich noch ein wenig wütender machen: wenn Du so denkst, begibst Du Dich automatisch in die Rolle eines Opfers. Du gibst die Macht über Dich ab und lässt zu, dass andere Deine Gefühle kontrollieren und beliebig Deine Knöpfe drücken können. Ja, AUCH wenn Du doch auf den Tisch haust und es Dir eben NICHT mehr alles gefallen lassen willst. Der Schlüssel ist die Emotionalität.

Wenn mir jemand begegnet, der mich nervt oder in dessen Gegenwart ich mich unwohl fühle, wende ich folgenden, einfachen Trick an: ich gehe davon aus, dass ich keinem Menschen umsonst begegne. Alles kommt zur rechten Zeit in unser Leben, es ist also weder ein Zufall, dass Du jetzt diesen Text liest (und noch immer dabei bist obwohl Du Dich vielleicht über den überheblichen Kerl, der das hier alles so flockig absondert, aufregst), noch dass Du Dich mit diesen unangenehmen Situationen oder, um im Kontext zu bleiben, Menschen herumplagen musst.

Achtung, jetzt kommt einer meiner wichtigsten Leitsätze im Leben, den ich gerne mit Dir teile:

Es gibt nur Freunde oder Lehrer!

Jeder, dem ich begegne, fällt in diese Kategorie. Ausnahmslos jeder. Manchmal ist ein Mensch für mich auch beides, doch nie etwas anderes als Freund oder Lehrer. Um es mit dem Zaunpfahl zu erläutern: es gibt für mich also keine schlechten oder bösen Menschen. Geht mir jemand auf den Sack oder schadet mir gar, dann gibt es dort etwas für mich zu lernen. Denn sonst könnte der Andere diesen Knopf bei mir gar nicht erst drücken oder ich hätte mir nicht die Situation erschaffen, in der ich auf den Anderen treffe und mit ihm interagieren muss. Ich übernehme also die Verantwortung für alles, was ich in meinem Leben vorfinde.

Mir ist bewusst, dass das jetzt sehr abstrakt und theoretisch herüberkommen könnte, darum möchte ich es anhand eines einfachen (fiktiven) Beispiels erklären:
Ich habe erfahren, dass meine Freundin mich betrogen hat. Als ich sie zur Rede stelle, beichtet sie alles und will sich von mir trennen.
Mein erster Impuls könnte nun sein, sie für ihre „Tat“, die nach meinen Maßstäben natürlich nicht zu rechtfertigen ist, zu verurteilen. Und mich in der Rolle des armen, gehörnten Opfers zu suhlen. Mich zu beklagen, dass sie all die gemeinsamen Jahre einfach fortwirft und sich einen Scheiß um meine Gefühle schert. Die Böse. Und alle meine Freunde werden mir auf die Schulter klopfen und recht geben.
Wenn ich nun einen besonders erleuchteten Moment hätte, könnte ich mich allerdings auch neben mich stellen und mich ehrlich fragen, wie das denn eigentlich passieren konnte. Ob es hier nicht vielleicht etwas für mich zu lernen gibt. Ob der andere mir nicht unbewusst eine Baustelle in mir gezeigt hat die, wenn ich sie nicht endlich vollende, mich immer wieder in Situationen wie diese führen wird. WAS die Baustelle nun genau sein könnte, das ist zu komplex um es hier in aller notwendigen und epischen Breite mit einfließen zu lassen. Nur so als Anregung und zur Abrundung: das könnte ein altes, ungelöstes Beziehungsthema, mangelnde Selbstliebe oder gar ein aus den Fugen geratener Lebensentwurf sein. WAS es ist, ist zunächst auch zweitrangig, wichtiger ist, dass mein (Ex-)Partner mich mit der Nase darauf gestoßen hat. In der Regel gelingt es uns nämlich nicht, solche Themen alleine anzugehen, wir brauchen meist einen Impuls von außen. Trennungen sind da übrigens ein ganz starker und effektiver Hebel um auf innere Unstimmigkeiten hinzuweisen, zwingen sie uns doch meist dazu, innezuhalten und aus unserem Trott auszubrechen.

Wenn Du nun vollkommen auf dem Schlauch stehst, weil mein Beispiel so gar nicht zu Dir passen will, und Dich fragst, warum zum Teufel Du Dich mit einem bestimmten Menschen herumplagen musst, helfen Dir vielleicht die Spiegelgesetze beim Finden einer möglichen Antwort. Diese besagen, sehr stark vereinfacht, folgendes:

  • Alles, was mich am Anderen stört, ärgert, aufregt und wütend macht, das habe ich selbst auch in mir.
  • Alles was ich an einem Anderen kritisiere, bekämpfe oder verändern will, kritisiere, bekämpfe oder unterdrücke ich in Wahrheit in mir selbst.

Und als Folge daraus:

  • Wenn Du Dich selbst verletzt, dann werden Dich andere verletzen.
  • Wenn Du Dich selbst belügst, werden Dich andere belügen.
  • Wenn Du Dich selbst liebst, werden Dich auch andere lieben.
  • Wenn Du Dich selbst respektierst, dann werden Dich auch andere respektieren. 

Ich erkenne mich also selbst im Anderen, wie in einem Spiegel.

Jetzt kommt eine steile Folgerung: müssten wir diesen Lehrern dann nicht eigentlich dankbar sein dafür dass sie unsere Knöpfe drücken oder uns aus unserer Stillstand verheißenden Komfortzone bugsieren?
Meine klare Antwort darauf lautet: Jawoll.
Denn Dankbarkeit ist nach der Urteilsfreiheit und der Selbstverantwortung der dritte Hebel um aus unserer Opferspirale auszubrechen. Und gleichzeitig ist die Dankbarkeit wohl auch die herausfordernste aller Meisterschaften. Denn bisher hatten wir ja verhältnismäßig harmlose Beispiele wo Menschen zu Opfern werden. Doch was, wenn wir mit wirklichen harten Lektionen konfrontiert werden, Gewalt, schweren Krankheiten, existenzbedrohenden Situationen und dergleichen? Wie soll ich bitteschön dankbar für Krebs oder den prügelnden Ehegatten sein? Wer hier tiefer einsteigen möchte, dem biete ich an, persönlich mit mir Kontakt aufzunehmen, hier nur das auf Dich möglicherweise provokativ wirkende Statement: alle drei genannten Meisterschaften (Urteilsfreiheit, Selbstverantwortung, Dankbarkeit) lassen sich auf ausnahmslose jede Komplikation anwenden und wenn es zu Beginn auch noch so ausweglos und höhnisch auf Dich wirken mag. Denn sie ermöglichen Dir, die Zügel wieder in Deine Hände zu nehmen und Dich aus der Opfer- in die Schöpferrolle zu bugsieren. In jeder Krankheit schlummert die Chance auf Wachstum. In jeder Gewalttat der Ruf zum Richtungswechsel. Für einen einzelnen oder kollektiv als Menschheit.

Bleibt die Frage, warum wir nicht einfach mit einander reden, wo es doch immer heißt, dass Reden alle Probleme lösen kann. Was aber, wenn der andere, der Bruder, die Schwester der Expartner, nicht (mehr) an einem Dialog interessiert ist obwohl wir es schon so oft angeboten oder versucht haben?
Vor allem Familienthemen sind meist unglaublich komplex und tiefgehend. Es handelt sich gerne um uralte Verletzungen, Geldthemen und Kindheitstraumen, sie sind so einfach und ohne fremde Hilfe nicht ohne weiteres zu lösen. Wichtig ist trotzdem zunächst einmal, anzuerkennen dass es überhaupt ein Thema gibt, anstatt in der Opferrolle zu versinken und blind dem Anderen die Schuld zu geben.
Wenn der Karren in einer Beziehung so weit im Dreck steckt, dass auch ein Gespräch nichts mehr ausrichten kann, gibt es für Dich nur noch eine, wenn auch äußerst praktikable Möglichkeit. Wenn Du Dich in den drei Meisterschaften zumindest versuchst (es wird nicht von Anfang an klappen, das Erlernen der Meisterschaften ist ein steter Prozess) hast Du einen Großteil der Arbeit schon verrichtet. Jetzt bleibt Dir nur noch, für Dich mit der Situation abzuschließen. Manche Beziehungen sind nicht dafür gedacht, ein Leben lang zu halten. Viele Begegnungen erfüllen genau einen Zweck, nämlich etwas anzustoßen, einen Knopf zu drücken oder uns den Spiegel vorzuhalten. Und vergiss nicht: so eine Beziehung ist immer wechselseitig. Nur weil DU erkannt hast was es zu lernen gibt (oder dass es überhaupt etwas zu lernen gibt), heißt das noch lange nicht, dass Dein Gegenüber auch schon so weit ist. Jeder hat seine eigene Geschwindigkeit, das darfst Du so akzeptieren wenn Du Dich nicht daran aufreiben willst. Auch kannst Du niemanden retten der nicht gerettet werden will. Was Du aber tun kannst: Für Dich Frieden schließen. Übe Dich in Urteilsfreiheit und Selbstverantwortung. Die Dankbarkeit ist dann der Abschluss. In der Theorie scheint es sehr abstrakt, aber ich garantiere Dir, wenn es Dir gelingt, Dankbarkeit in der Praxis anzuwenden, wird es Dein Leben komplett umkrempeln. Je schwerer Dir es im Übrigen fällt, für etwas dankbar zu sein, desto tiefer sitzt das Thema in Dir, desto größer ist die Baustelle.

Die Dankbarkeit ist ganz nebenbei eng verwandt mit der Vergebung. Beides sind unglaublich wirkungsvolle Werkzeuge. An dieser Stelle möchte ich allerdings in aller Deutlichkeit feststellen: weder Dankbarkeit noch Vergebung bedeuten Entschuldigung. Die Schuld ist etwas, mit der jeder Mensch, der sich welche aufgeladen hat, selbst fertig werden muss. Nur weil ich einem prügelndem Vater vergebe heißt das nicht, dass sein Verhalten entschuldigt ist. Aber ICH richte nicht (mehr) über ihn. Und löse damit endgültig die belastende Verbindung.
Dankbarkeit und Vergebung bedeuten auch nicht, dass ich zu dem Anderen eine wie auch immer geartete Beziehung aufbaue oder aufrechterhalte. Sie sind vielmehr ein Abschluss, ein Schlussstrich, ein Loslassen. Und bedeuten garantierte Heilung wenn wir gelernt haben was es für uns zu lernen gab. Was der Andere mir gezeigt hat. Das Beste daran: Du kannst ganz allein für Dich dankbar sein und vergeben und brauchst Deinen Streitpartner nicht einmal dazu.

Das zweite was Du tun kannst ist ein wenig mehr situationsabhängig. Bestimmte, kleine Rituale können Dir ebenfalls helfen, für Dich einen Abschluss zu finden. Du ärgerst Dich, weil Dein Bruder, Deine Schwester oder Dein Expartner sich nicht mehr bei Dir meldet? Sofern der Andere kein ausdrückliches Kontaktverbot gewünscht hat, spring über Deinen Schatten und schreib Du. Zum Geburtstag, zu Weihnachten, zu anderen Dir wichtigen Daten. Knappe, nette Zeilen, unverbindlich, ohne Erwartung auf Antwort. Tu es für Dich. Auch wenn Du keine Reaktion erhältst. Denn auch hier lauert wieder eine Opferrolle wenn Du glaubst, der Andere müsse sich zuerst melden. Muss er nicht. Wenn Dir etwas daran liegt tu es. Wenn Dir nichts daran liegt, erwartest Du auch nicht dass der Andere es tut. Dann hast Du hier aber auch kein Thema. Also schreib, verdammt noch mal, so groß kann Dein Schatten gar nicht sein.

Viele Probleme entstehen dadurch, dass wir uns das Leben viel zu kompliziert machen. Weil wir den, den wir vermissen, nicht einfach anrufen. Weil wir uns nicht erklären, obwohl wir so gerne verstanden werden möchten. Weil wir Hilfe lieber voraussetzen statt darum zu bitten. Und weil wir eben das Verhalten anderer Menschen interpretieren ohne zu wissen was in ihnen vorgeht und uns dann über unsere eigenen Gedanken ärgern.

Lasst uns gemeinsam diese Spirale durchbrechen und uns in mehr Leichtigkeit und Unbeschwertheit üben. Ein Wandel kann immer nur von uns selbst ausgehen. Die einzige Möglichkeit, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist nicht, das Außen verändern zu wollen, sondern im Kleinen bei uns zu beginnen. Und damit dann alle anderen anstecken.

Das wäre doch ein wunderbarer Vorsatz für 2018. Ins Fitnessstudio können wir ja trotzdem alle gehen.

2 Kommentare

  1. Elke

    Sehr toll geschrieben – deine Beispiele/Worte sind treffend und nachvollziehbar … Danke für diesen sehr gelungenen Artikel – ich teile gerne deinen Vorsatz für 2018

    PS: „ich schließe für mich Frieden“

    Antworten
    • Andreas Karosser

      Liebe Elke,

      gern geschehen! Ich wünsche Dir alles Gute und tolles neues Jahr!

      Andi

      Antworten

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