Wundersame Geschichten aus dem Reich der Mitte, Teil 4

01. 04. 2011 | Literarisches | 7 Kommentare

Wie ich einmal fast von kannibalistischen Nymphomaninnen gefressen worden wäre

Manchmal führte mich meine Reise durch das Reich der Mitte durch ausgedehnte Steppen. Ich will nicht sagen, dass es sich hier um Wüsten gehandelt hat, das wäre den Wüsten gegenüber nicht fair gewesen. Denn gegen jene Steppen, wie ich sie durchschritten habe, mutet eine Wüste an wie der nette Onkel von gegenüber, der manchmal mit Milch und Keksen vorbei kam und diese komischen Geschichten erzählt hat1.

Eine Wüste weiß zu verzeihen. In einer Wüste müssen nur dumme Menschen verhungern oder verdursten, solche, die nicht wissen, wo man graben muss oder welche im Sand versteckten Tiere man essen darf und welche nicht. Und um diese ist es nicht schade, also um die dummen Menschen. Aber eine richtige Steppe verlangt einem Mann alles ab. Eine richtige Steppe hat eine schwarze Seele und wartet nur darauf, dass Du einen Fehler machst, von dem saftig aussehendem Busch nascht, die nette Katze streicheln willst oder den falschen Stein mit der putzigen Spinne drunter umdrehst. Es gibt hier keine Regeln, wer über keinen natürlichen Instinkt verfügt, hat schon verloren bevor er die Steppe überhaupt nur betreten hat.

Jedenfalls ist es auch mir einmal einst passiert, dass ich mich in solch einer Steppe verlaufen habe. Ich hatte mir von einem jungen Karawanenführer eine Karte besorgt, die angeblich alle Oasen in dieser einen speziellen Steppe aufzeigen sollte. Doch als ich nach zwei Tagen immer noch nicht am ersten aufgezeichnetem Wasserloch angekommen war, wurde mir klar, dass ich mich übers Ohr hatte hauen lassen. Die Karte war eine Fälschung, wahrscheinlich hatte dieser Bastard von einem Kameltreiber noch nie einen Fuß in diese Steppe gesetzt. Selbst ein erfahrener Abenteurer wie ich kann aus Staub keine Nahrung zaubern und aus Steinen kein Wasser pressen2.
Mein Proviant neigte sich also bedrohlich dem Ende zu und, während ich immer schwächer und schwächer wurde und die unerbittliche Sonne meine Haut verbrannte, dachte ich schon, dass mein letztes Stündchen geschlagen hätte. Ich setzte mich in den spärlichen Schatten eines vertrockneten Busches und wartete auf den Sonnenuntergang. Das letzte, was ich sah, oder mir einbildete zu sehen, waren schemenhafte Gestalten am Horizont, dann verlor ich das Bewusstsein.

Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich in einem weichen Bett, bekleidet nur mit einem Lendenschurz. Es roch leicht nach Erde, aber nicht unangenehm, sondern auf eine wohlige Weise. Scheinbar lag ich, soweit ich das durch das weiße Moskitonetz beurteilen konnte, in einer recht primitiven Hütte mit Wänden aus Lehm und einem Schilfdach. In diesem Moment wurde auch schon der Vorhang am Eingang beiseite geschoben und rasch schloss ich wieder die Augen. Ich ließ sie allerdings einen kleinen Spalt weit offen um zu erkennen, wer denn mein nobler Retter war. Beinahe hätte ich einen verblüfften Laut von mir gegeben, denn plötzlich standen um mich herum fünf äußerst ansehnliche Frauen, vollständig entblößt, ihre Körper über und über mit kunstvollen Malereien verziert. Sicher könnt Ihr Euch vorstellen, wie erstaunt ich war. In einem Moment noch dem Tode nahe, im nächsten scheinbar im Paradies! Die seltsamen Frauen sprachen in einer noch viel seltsamer anmutenden, aus Klick- und Gurrlauten bestehenden Sprache3 miteinander.

Scheinbar dachten sie, dass ich immer noch schlafen würde, denn eine von ihnen schob das Netz beiseite und begann mich abzutasten. Sie drückte auf meinen Waden und Oberschenkeln herum, fasste sanft meinen Bauch, meine Brust und Arme an und strich mir vorsichtig durchs Haar. Während sie sich über mich beugte, drang mir ein erregender Duft in die Nase: Die junge Frau roch nach Lavendel, Hitze und irgendetwas undefinierbar öligem, das ich der Körperfarbe zuschrieb, insgesamt ein teuflisch guter Cocktail. In diesem Augenblick beschloss ich, meine Vorsicht aufzugeben und die Augen zu öffnen. Sofort schreckte das bemalte Mädchen zurück und floh in den Kreis der anderen, und sie drängten sich ängstlich in einer Ecke zusammen. Ich streckte mich und gähnte herzhaft, stand auf, und labte mich an der Obst- und Wasserschale neben meinem Lager, nicht ohne den Mädchen freundliche Blicke zuzuwerfen.

Ich hob zum Zeichen meiner Friedfertigkeit beide Hände und drehte die Handflächen nach aussen zum internationalem Zeichen der guten Absicht, da entspannten sie sich sichtlich, erhoben sich anmutig und diejenige, die mich auch betastet hatte, fasste mich an der Hand und zog mich, den Rest der Gruppe im Gefolge, aus der Hütte hinaus ins Freie. Die grelle Sonne blendete mich, doch nach und nach konnte ich erkennen, dass ich mich wohl in einer kleinen Oase befand. Die schien bereits Modell für zahlreiche Postkarten gestanden zu haben, denn sie war so, wie man sich eine ordentliche Oase vorstellt: ein kleiner Teich in der Mitte mit großen Palmen aussen ‚rum4. Dazwischen standen immer wieder Hütten wie jene, in der ich aufgewacht war. Überall in diesem Lager sah ich schlanke junge Frauen, die verschiedenen Tätigkeiten nachgingen. Ein paar von ihnen waren damit beschäftigt, lederne Trinkschläuche am Teichufer zu befüllen, wieder andere erneuerten sich die kunstvollen Bemalungen auf ihren Körpern und einige waren gerade mit Bogenschuss-Übungen beschäftigt. Sobald mich eines der Mädchen erblickte, sah es verstohlen zu mir her und ein zufriedenes Lächeln schien ihre Lippen zu umspielen.

Meine Führerin geleitete mich zu einer Hütte, die etwas größer als die anderen war. Sie schob den Vorhang am Eingang zur Seite und, liebe Leute was sich mir dort für ein Anblick bot, das ist nur schwer zu beschreiben und wahrscheinlich neigt Ihr dazu, mich für einen Aufschneider zu halten aber ich schwöre, genau das habe ich dort gesehen: im Inneren befanden sich bestimmt 20 junge Frauen, in heißer Leidenschaft ineinander verwickelt, stöhnend, voller Ekstase zuckend, mit glänzenden Leibern sich windend. Sie vollzogen auf dem Boden, der mit einem weichen, teuer aussehendem Teppich ausgestattet war, einen wahren Liebesreigen, liebkosten und küssten sich gegenseitig und ich fühle mich ausserstande, noch weitere Details von diesem unglaublichem Schauspiel hier wiederzugeben ohne dem Bedürfnis nachzugeben, mich an unanständigen Stellen anzufassen.

Meine Begleiterinnen legten sich sogleich zu den Liebenden und taten es ihnen gleich, meine Führerin zog mich auf einem schmalen Pfad, von dem sich die ineinander verknoteten Frauen wie durch Zauberhand fernhielten, auf einen hohen Stuhl am anderen Ende des Raumes hin, auf dem eine erhabene Frau saß, die ich sofort als Häuptling identifizierte. Sie hatte zunächst nur das Treiben zu ihren Füßen beobachtet, doch jetzt schenkte sie mir ihre volle Aufmerksamkeit. Sie war das, was man bei uns zu Hause als rassig bezeichnen würde: ein dunkler Teint, schwarze, große Augen, majestätische Gesichtszüge. Ihre Körperbemalungen zeigten verschieden Jagdszenen, kurz gesagt, ich musste mich arg konzentrieren, um ihr auch ins Gesicht zu sehen. Sie fragte mich, in perfektem chinesisch: „Sag an Fremder, wann hast Du das letzte Mal gegessen bevor Du unser Gast wurdest?“ Eigentlich hätte ich an dieser Stelle schon misstrauisch werden müssen, doch, wer könnte es mir verdenken, in Gedanken war ich schon in mitten der ausgehungerten nackten Mädchen auf dem Teppich, also antwortete ich: „Oh, ich schätze, gute drei Tage vielleicht! Ach ja, vielen Dank für die Gastfreundschaft!“ Dann wurde es wieder dunkel.

Als ich wieder zu mir kam, schmerzte mein Kopf höllisch und ich saß in einem riesigem Kochtopf, solch einem wie er immer in diesen schlechten Zeichentrick-Filmen vorkommt. Das Wasser stand mir buchstäblich bis zum Halse und rund um mich herum schwamm allerlei geschältes Gemüse. Außerhalb des Topfs waren die bemalten jungen Frauen damit beschäftigt, ein Feuer unter mir zu entfachen, die anderen bereiteten alles für ein scheinbar großes Fest vor. Eine von ihnen hing sogar einen kamelförmigen Lampion an einem Palmbusch auf. Natürlich wusste ich sofort, in welcher Lage ich mich befand, wer hatte nicht von den wilden Kannibalenstämmen in den Steppen Chinas gehört5 und begann sofort, lauthals den Lotus-Code zu rufen. Der Lotus-Code ist eine lebenswichtige Lektion, die sich jeder gute Abenteuer, der das Reich der Mitte bereist, einprägen muss. Mit dem Lotus-Code kann man sich auch in ausweglosen Situation Gehör verschaffen.

Sofort hielten die Frauen in ihrem Treiben inne und plötzlich stand die Häuptling6 vor mir und starrte mich böse an. „Was weiß ein Wurm wie Du über den Lotus-Code?!“ blaffte sie mich an. „Genug, um zu wissen, dass Ihr mich nicht einfach so aufessen dürft, ehe Ihr mir nicht einen Versuch gebt, mein Leben zu retten, so wie es Razipuhts, die Göttin der Blindschleichen einst mit dem brünftigem Bison, das ihre Großmutter zerstampft hat, getan hat.“ Die Häuptling war sichtlich beeindruckt und steckte den Kopf mit ihren Beraterinnen zusammen. Nach einigem Getuschel und Gezänk kam sie wieder zu mir uns sagte: „So sei es Fremder. Ich habe ein Rätsel für Dich. Löst Du es, bist Du frei. Versagst Du, dienst Du uns als Festmahl. Hier kommt es: Was kommt einmal in jeder Minute, zweimal in jedem Moment aber nie in tausend Jahren vor?“ Ich überlegte länger als ich es eigentlich müsste, denn ich wollte es spannend machen. Natürlich wusste ich die Antwort sofort. Erst als das Wasser unter meinen Füßen schon zu köcheln begann platze ich die Lösung heraus und, der Lotus-Blindschleiche sei Dank, ich wurde tatsächlich freigelassen.

Auf meine Frage hin, ob ich denn gleich abreisen müsse oder noch zum Festmahl bleiben könne, wo es doch immerhin schon angerichtet war, wurde ich schließlich doch noch aufs herzlichste empfangen. Immerhin war ich seit vielen vielen Jahren der erste Mann, den die nymphomanischen Kannibalinnen gefasst hatten, und den sie nicht zu Dörrfleisch verarbeitet hatten. Und das wollten sie natürlich alle ausnutzen. Zunächst bekam ich auch eine Körperbemalung, ordentlich rituell, wie man mir versicherte, und dann begann ein unvergesslicher Abend voller Schlemmereien7, spannenden Geschichten und wildem Geschlechtstreiben mit so vielen schönen Mädchen in einer Nacht, wie ich sie später nur noch einmal wieder hatte.

Schlau wie ich war, schlief ich allerdings nicht bei ihnen in der Oase, sondern machte mich im Morgengrauen auf, ausgestattet mit der richtigen Wegbeschreibung, um möglichst schnell möglichst viele Meilen zwischen mich und die nymphomansichen Kannibalinnen zu bekommen.
Und das nächste Abenteuer zeichnete sich schon am Horizont ab.

______________

  1. …und manchmal unangenehm gerochen hat.
  2. Angeblich kann ja Chuck Norris das, aber der traut sich nicht in chinesische Steppen.
  3. Es handelt sich um Klk’tinisch, eine fast vergessene Beduinen-Sprache. Sie hört sich an wie Wattfische beim Sex.
  4. Diese Postkarten verschweigen jedoch meist, dass es in Oasen keinerlei sanitäre Einrichtungen gibt, nachts die Sandflöhe kommen und es dort nach Kameldung riecht.
  5. Ich dachte allerdings immer, dass es sich dabei um männliche Kannibalen handeln musste, hässliche Kerle mit Knochen in den Nasen. Und keine nackten jungen Mädchen. Das zu meiner Ehr-Verteidigung.
  6. Im Chinesischem gibt es eine weibliche Form des Häuptlings, leider weiß ich nicht, wie sich das ins Deutsche übertragen lässt.
  7. Rein vegetarisch natürlich.

7 Kommentare

  1. Kathrin

    Und was ist des Rätsels Lösung?

    Antworten
    • Andi

      Ich weiß es nicht mehr! Vielleicht kannst Du es lösen?

      Antworten
  2. Kathrin

    Du lügst, du weißt es bestimmt! Aber ich glaub ich weiß es mittlerweile auch…

    Antworten
  3. Andi

    Chuck Norris weiß es.

    Antworten
  4. matthias

    das „M“!

    Antworten
  5. Andi

    …und Matthias weiß es auch!

    Antworten
  6. matthias

    Grad im Moment starre ich ein Buch an und versuche es zu zwingen, daß es mir den Inhalt selbst verrät. Ich denke, bis morgen bin ich soweit. ;)

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