Das lächerliche Schwanen-Prinzip

17. 03. 2011 | Erkenntnisse | 0 Kommentare

Es ist doch erstaunlich, wie sehr sich die Welt immer wieder in Konzepte unterteilen lässt. So individuell wir auch alle sein mögen, irgendein Raster fängt uns immer auf. Warum beispielsweise schreibe ich seit knapp sechs Jahren 1.200 Artikel (mit ein wenig Hilfe) in dieses Blog, teile sie mit einer anonymen Masse (knapp 12.000 Besuche bis jetzt in diesem Jahr), von denen vielleicht einmal 1% einen Kommentar hinterlässt, Versatzstücke meines Lebens?

Vielleicht liegt das an meiner Kulturpupertät. Die Wissenschaft kennt zwei Motivationen für das Schreiben. In der einen geht es hehr um die Tradierung einer wie auch immer gearteten literarischen Kultur, in der der anderen darum, wie man sich als Autor Schriftkultur und Literatur für eigene Zwecke nutzbar machen kann. Man ahnt es schon, ich falle in die zweite Kategorie. Denn dabei handelt es sich um einen um soziale und personale Distinktion, sprich, ich schreibe um meines Selbstwertgefühls willen und weil ich mich als Autor stilisieren möchte, zum anderen hat das Schreiben auch therapeutische Zwecke.

Die vergangenen 6 Jahre sind ein wildes Ausleben von Phantasien und das Ausprobieren verschiedenster Identitäten. Ich habe mich als Film- und Buchkritiker versucht, Lokalreporter und Meinungsbildner, Szenengänger, Poet, Chauvinist, Verschwörer, Aufrührer, Kurzgeschichtenschreiber und wohl noch vieles mehr. Die aktuelle Phase, der Umschwung in den Themen, der sich derzeit in meinen Einträgen erkennen und manch einen an meinem Verstand zweifeln lässt, ist nichts anderes als ein Ausprobieren und Ausloten einer weiteren Grenze, einer neuen Identität. Es wird sich noch herausstellen müssen, ob sie mir dauerhaft passt, mit der Zeit zu groß, oder gar zu klein wird.

Was die Therapie betrifft: Natürlich ist jeder Beitrag in gewisserweise ein Spiegel meines aktuellen Gemütszustands. Anders ginge das auch gar nicht, ich müsste sonst wohl völlig emotionslos sein. Doch ich habe gelernt, die kleinen Botschaften und Anspielungen zu chiffrieren und man müsste mich schon sehr gut kennen, um beispielsweise verlässlich deuten zu können, was mich zu Geschichten wie dem China-Reisebericht veranlasst. Auch wenn ich mir das wohl nur zu sehr wünschte, dass eines Tages eine(r) aus dem Sonnenuntergang geritten kommt, mich liest und in mir liest wie in einem Buch. Manch eine(r) ist dem schon recht nahe gekommen, geschafft hat’s schlussendlich noch keine(r).

Nach neuerer Forschung entwickelt sich ja angeblich vor allem das Schreiben im Netz weg vom monologischem und egozentrischen hin zum dialogischem, sprich, mit unseren Botschaften suchen wir Netzautoren bewusst eine Öffentlichkeit. Auch wenn sie uns nur selten versteht. Und um nochmal auf die Kulturpubertät zurück zu kommen: die ist das Gegenstück der Primitivpupertät.
Achtung, ich zitiere nur, das ist nicht auf meinen Mist gewachsen: Die Kulturpupertät steht für eine auf Grund höherer Bildung verlängerte Pubertät und Selbstfindungsphase, wohingegen die Primitivpupertät quasi schon früh mit dem Eintritt ins Arbeitsleben beendet wird. Da sucht sich der Jugendliche einen Job, findet sich damit ab und ändert sich oder seine Einstellung zum Leben in der Regel nicht mehr großartig. Einfacher ausgedrückt: Wer zu Gunsten einer längeren Ausbildung später ins Arbeitsleben eintritt, interessiert sich mehr für Kunst und Kultur und strebt danach, diese auch auszuüben. Und wenn man sich ansieht, wie lange ich gebraucht habe um zumindest einmal die Hand auf dieses verflixte Floß zu bekommen, erklärt das so manchen geistigen Auswuchs hier.

Am Ende ist es dann aber doch meist ein egoistischer Akt, dieses Schreiben.
Auf der Suche nach meinem persönlichen Sinn und Platz im Universum zeichne ich auf, was ich für berichtenswert halte, veröffentliche es im Internet, weil ich mit Ansehen und Bestätigung erhoffe, freue mich über jeden Dialog und ertrage stoisch, wenn dieser nicht stattfindet.
Und wenn ich durch meine Archive streune, lese ich darin wie in einer Chronik meiner Gedanken, dem Auf und ab, der Entwicklung, der Erinnerung.
Und finde es großartig.
Und beängstigend.
Weil es öffentlich ist.
Ohne Öffentlichkeit aber nicht existieren würde.

0 Kommentare

Schreib was dazu!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vielleicht auch fein?

Sommersonnwende

Sommersonnwende

Zwei Tage bevor Du in mein Leben gekommen bist habe ich Tinder gelöscht und resigniert den festen Entschluss gefasst, diesen Sommer alleine zu verbringen. Du hast mich wie ein...

mehr lesen
Liebe und Leiden

Liebe und Leiden

Warum Beziehungen oft so schmerzhaft sind und wie wir uns heilen können. Diese Frage, warum Beziehungen oftmals so schmerzvoll sind, beschäftigt mich schon ziemlich lange. "Es...

mehr lesen
Indien

Indien

Fate gives all of us three teachers, three friends, three enemies, and three great loves in our lives. But these twelve are always disguised, and we can never know which one is...

mehr lesen