Ein Sommernachtstraum

10. 09. 2015 | Literarisches | 0 Kommentare

Die Sonne hatte die Luft so sehr aufgeheizt, dass die Wärme eine physische Qualität gewann. Sie entwickelte eine Präsenz, schärfte ihr Profil und wuchs über sich selbst hinaus, gleich einem dringenden Wunsch, der kurz vor seiner Erfüllung noch einmal all seine Kraft in eine übermächtige, sehnsüchtige Leidenschaft steckte.

Sein Hemd klebte auf seiner Haut, und obwohl er schwitze, fröstelte ihn, als er sich über den nassen Stoff strich.
Er fühlte sich ausgelaugt und leer.
Seine Fäden zerrten schwer und wirr an ihm, Sand und Staub hafteten an ihm, in seinen Haaren, an seiner Kleidung.
Vergeblich versuchte er sich zu erinnern, wann er das letzte Mal gelacht oder Freiheit und Unbekümmertheit verspürt hatte.
Die trockene Luft brannte in seiner Lunge.
Der See lag wie ein schlafendes Tier vor ihm, still und lauernd, Hitze flirrte über den Steinen an seinem Ufer.
Er kniff seine Augen zusammen bis sie tränten und musterte angestrengt die unwirkliche Landschaft. In der glühenden, grauen Wüste erspähte er schließlich eine bunte Oase. Auf einem safrangelben Handtuch meinte er, eine junge Frau zu erkennen. Mit letzter Kraft schleppte er sich stolpernd in ihre Richtung. Jeder seiner Muskeln schmerzte und pulsierte und mehr als einmal geriet er ins Straucheln, verlor den Halt, fiel auf alle Viere und richtete sich mühevoll wieder auf. Endlich kam das Mädchen in seine unmittelbare Sichtweite. Sie war nackt und badete ihren braungebrannten Körper im Sonnenschein. Ihre Augen hielt sie geschlossen und ihr Kopf wippte sanft zu einer Melodie, die nur sie hören konnte.
Sie lächelte.
Eine einzelne, exotisch anmutende Blüte steckte hinter ihrem Ohr.
Vorsichtig näherte er sich ihr und setzte sich neben ihr auf die heißen Steine. Gerade als er sie berühren wollte um auf sich aufmerksam zu machen, drehte sie den Kopf und strahlte ihn an.
Wie schön sie war.
Das schwarze, lange Haar, die dunklen geheimnisvollen Augen, der sinnliche Mund. Er bewunderte ihre perfekten Brüste, ihr wohlgeformtes Gesäß, ihre langen Beine. Am meisten faszinierte ihn jedoch ihre Natürlichkeit. Sie verbarg nichts unter Schminke, Schmuck und Lack. Sie schien mit sich im Reinen. Ein Kribbeln wanderte von seiner Brust aus durch den ganzen Körper und beschleunigte seinen Puls. Da sprang sie plötzlich auf und watete in den See. Rasch entledigte er sich seiner Kleidung und folgte ihr. Das Wasser empfing ihn mit kühler Frische, spülte Schweiß und Staub und Schwere hinfort und mit ihnen schwammen die Anspannung und der Schmerz eines Sommers davon.
Sie ließen sich treiben, schwelgten in kleinen, schillernden Wellen und die Zeit wartete am Ufer und als sie ihr keine Beachtung schenkten, trollte sie sich beleidigt von dannen.

Später lagen sie eng umschlungen auf ihren Strandtüchern, trockneten in der Abendsonne und schwiegen, denn was zwischen ihnen war, bedurfte keiner Worte. Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und lauschte dem Rhythmus seines gebrochenen Herzens, das allein durch ihre sanfte Berührung heilte. Er liebkoste liebevoll die weiche Haut an ihren Schultern und an ihrem Hals, sog den Duft ihrer Haare ein und wünschte sich, diesen Moment für eine Ewigkeit festhalten zu können.
Und in Abwesenheit der Zeit wurden die Sonnenstrahlen zu einem Aquarell gemächlich zerfließender Farben, die Realität bewegte sich träge im Sirup der Unendlichkeit und verlor sich im Tanz des Abendrots auf den sanft wiegenden Wellen des Sees.
Nie zuvor hatte er sich so glücklich und geborgen gefühlt. Als die Sonne schließlich von einem blutroten Mond abgelöst wurde, der die Liebenden in flüssiges Feuer tauchte und die Schatten der Steinwüste zum nächtlichen Tanz aufforderte, wurde es für das schöne Mädchen Zeit zu gehen.
Er spürte tief in seinem Herzen, dass er sie ziehen lassen musste, denn sie war ein Schmetterling, den der Wind erfasste und sie musste dorthin folgen, wohin sie getragen wurde.
Er hingegen blieb am Seeufer sitzen. Genoss die Wärme der Steine und die Erinnerung an ihren Duft und ihre Berührungen in sich aufnehmend, verwahrend, dankbar.

Und er begann von neuem, seine Fäden zu weben.

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