Tête À Tête

24. 05. 2016 | Feste feiern, Philosophie | 0 Kommentare

In meinem Whiskey-Glas liegen zwei dunkle Specksteine und kühlen das sauteure Getränk ohne es zu verwässern. Der Drink kostet mehr als ein Zwei-Gänge-Menü im Tantris und obwohl meine Kenntnisse in der Whiskey-Verkostung noch nicht bestätigen können, ob das gerechtfertigt ist, genieße ich das Gefühl, wie der scharfe Brand meine Kehle hinabrinnt. Während ich mich an das Geländer lehne und den Blick über das nächtliche München schweifen lasse, schlingen sich plötzlich zwei schlanke Arme von hinten um meine Hüfte.

„Genießt Du die Aussicht?“ gurrt es an meinem Ohr. Ich drehe mich um blicke direkt in die großen Augen von Lena. Dunkelblondes, wallendes Haar umspült ihr schmales, fein gezeichnetes Gesicht. Sie ist bildhübsch. Und blutjung. Zarte zwanzig Jahre. Ihr schlanker Körper steckt in einem schlichten, aber edlem weißen Kleid, das gerade mal die Hälfte ihrer Oberschenkel bedeckt und die Schultern frei lässt. Trotz ihrer enormen High Heels muss sie sich auf die Zehenspitzen stellen um mir einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Sie schmeckt süß und gefährlich und hat längst alle Schutzmechanismen, die mein Verstand aufgefahren hat, umgangen und ausgetrickst. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass wir uns später noch im Pool des Hotels, nur zwei Etagen unter unserer Rooftop-Bar, am Beckenrand lieben werden. Lena kennt nämlich gefühlt jeden auf dieser Party, natürlich auch jemanden der jemanden kennt, der jemanden kennt, der uns den Schlüssel zum Nachtens verschlossenem SPA-Bereich besorgen kann.
Beziehungen sind alles in diesen Kreisen.
Wie ich dort hingekommen bin?
Natürlich auch über Beziehungen.
Eine Einladung, ein spontaner Entschluss und die angenehme Aussicht auf einen Abend weniger alleine zu Hause auf der Couch.

Lena hält mich für einen erfolgreichen Schriftsteller.
Das und der schiere Umstand dass ich mich überhaupt in ihrem elitären Dunstkreis aufhalte, genügt ihr scheinbar als Grund, mich anziehend zu finden. Wäre ich ihr nicht in einer Gesprächsrunde von meinem äußerst enthusiastischen Verleger vorgestellt worden, hätte ich mich niemals getraut, sie anzusprechen. Denn Lena ist weit über dem, was ich als meine persönliche Gehaltsklasse bezeichnen würde. Sie würde sich auch wunderbar an der Seite eines George Clooney oder Brad Pitts machen. Und trotzdem schiebt sie gerade in diesem Moment mir, einem bayrischen Hank Moody, einem Typen mit untrüglichem Gespür für Fettnäpfchen aller Art und einer leisen Melancholie im Blut, die Zunge in den Mund.
Das Schizophrene daran ist, dass ich mich nicht entscheiden kann ob ich das alles hier genießen oder verabscheuen soll. Und damit meine ich nicht Lena, deren Hand gerade wie zufällig über meinen Schritt streicht und dann amüsiert eine ihrer perfekt geschwungenen Augenbrauen hebt. Ein hartnäckiger Teil meiner Selbst, den ich am liebsten fesseln und knebeln würde, wird nicht müde, die Fassaden zu durchstoßen und auf die Haarbüschel in der teuren Gourmetsuppe zu deuten. All die Masken zu verachten und die heuchlerischen Fragen in den Smalltalks, die nur darauf abzielen, ob das Gegenüber einen Mehrwert für einen selbst bieten könnte, zu verurteilen. Er verabscheut die unverschämten Preise auf den Getränkekarten, die unnachgiebigen Türsteher, das Geklüngel und Gemauschel. Ich schäme mich dafür und besonders für meinen schwelenden Neid und verfolge weiter meinen Plan, meinem Gedankenkarussell ordentlich Whiskey ins gut geölte Getriebe zu schütten.

Das, und die ungeteilte Aufmerksamkeit Lenas zeigt schließlich Wirkung. Während wir dicht aneinander zu den Beats eines verdammt guten DJs tanzen, kapituliert mein Verstand endlich und lässt sich widerstandslos in jenen watteumbauschten Korridor zwischen Nüchternheit und Filmriss saugen, den ich über die Jahre in mühsamem Training immer weiter ausgebaut und kultiviert habe. Der Genießer in mir übernimmt das Ruder und lenkt die die Fregatte meiner Selbstzweifel aus der stürmischen See in die einladende Piratenbucht, in der Wohlstand und Verschwendung regieren und wo die Wochenende für teuren Spaß, Rum, Parties und Ausschweifungen reserviert sind. Vergessen sind die Sorgen der Welt, die Probleme der anderen und besonders die eigenen. Lena stellt mir Bekannte und Freunde vor, allesamt wunderschöne oder einflussreiche Menschen. Ich schüttle Hände, gebe kurze, ausgewählte Anekdoten zum Besten und kann immer noch nicht fassen, warum dieses Mädchen immer noch an meinen Lippen hängt, wo sie doch alles hat und noch viel mehr haben könnte.

Als ich viel später in dieser Nacht, oder besser im Morgengrauen, auf dem kleinen Balkon des großzügigen Hotelzimmers stehe, weil mich die unbändige Lust auf eine Zigarette übermannt hat und ich ohnehin nicht schlafen kann, schwirren tausend Glühwürmchen in meinem Kopf herum. Hinter mir schlummert Lena nackt und tief und fest in unseren zerwühlten Laken. Alles ist so perfekt, dass es schmerzt. Und genau das ist der Stachel im Fleisch, der mich nicht still werden lässt. Immer wenn ich in diese Welt eintrete, fühlt sich der Boden wie Treibsand an und jedes Mal fällt es mir schwerer, ihm wieder zu entkommen.
Dieses Mal wird es mir noch einmal gelingen.
Mein Herz ist ganz weit auf, aber nur weil es grade niemand mitbekommt. Die Narben vergangener Beziehungen, manche klein und unbedeutend, manche groß und tief, bemerke ich kaum noch. Ich gestehe mir die Schwäche und den Neid und die Angst ein und sehne mich gleichsam nach der Liebe, die ich im Außen nicht finde. Immer wenn ich mich an ihrem Ende wähne, trifft mich die Erkenntnis, dass die Suche gerade erst begonnen hat.

Wir haben keine Nummern ausgetauscht, uns nicht auf Facebook befreundet und uns nichts von unseren Instagram-Accounts erzählt.
Und weil es sich eh alles wie im Film anfühlt, muss es auch so enden.
Ich klaube meine Sachen zusammen, betrachte die schlafende Schönheit ein letztes Mal und schleiche mich unbemerkt aus dem Zimmer.

Dem Portier bin ich nicht einmal einen zweiten Blick wert als er die Tür hinter mir schließt.

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